Die Quelle der
Inspiration
von Karin Rabara
von Karin Rabara
Meine erste Begegnung mit dem Schaffen Le Corbusiers fand 1995 statt während meiner Ausbildung zur Hochbauzeichnerin. Unsere Klasse besuchte eine Ausstellung in Payerne, in der auch Le Corbusiers Tapisserien zu sehen waren. Bei der Begehung der Ausstellung fühlte ich, dass etwas in mir passierte: Die Wandteppiche waren ergreifend, und ich konnte kaum glauben, dass der Architekt Le Corbusier sie geschaffen hatte. Architekt UND Künstler? Eine Offenbarung und wegweisend, wie sich herausstellen sollte.
Vor Beginn meines Architekturstudiums in Luzern besuchte ich Le Corbusiers Kloster Sainte-Marie de la Tourette. Bei der Anreise schien es mir wie ein Monument aus rohem Beton, ein Schwergewicht, gelandet in der sanften Landschaft. Mir wurde bewusst, dass sich das gleiche Gefühl wie 1995 einstellte: Hier war Le Corbusiers Kraft spürbar.
Aber es war alles andere als ein Koloss. Da spielte alles. Das Licht, die Formen, die harmonischen Dimensionen. Ein Feingeist steckte dahinter. Und ich war ein Teil davon, als ich zwei Nächte darin verbrachte. In einer Mönchszelle, so breit wie meine ausgestreckten Arme tasteten. Der Modulor wurde mir spürbar einverleibt: die menschlichen Dimensionen! War das nun Architektur? War hier auch der Künstler LC am Werk? Mir war nicht klar, ob hier mehr Kunst oder mehr Architektur drin steckten. Le Corbusier schien mir ab da untrennbar in den Bereichen seines Handelns.
Es dauerte nicht lange, dass ich mich vom Architekturstudium lösen und auf die Suche nach dem Werk Le Corbusiers machen wollte. Ein Jobangebot Heidi Webers vom Centre Le Corbusier in Zürich machte es möglich. Zwei Jahre arbeitete ich tagtäglich in diesem aussergewöhnlichen, letzten Bauwerk Le Corbusiers. Hier lebte diese Synthese, ein Gesamtkunstwerk, das Architektur, Kunst, Schriften und Möbel vereinte. Jeden Tag wurde ich neu ergriffen, bewegt oder auch völlig hilflos angesichts dieses Universalgenies. Der Architekt im Dienste der Poesie. Der Künstler genauso. Es würde mich nicht mehr loslassen.
Nach dieser intensiven Zeit im Museum verschaffte ich mir eine Pause. Diese Fülle an Inspiration forderte ruhigere Arbeitsfelder, welche ich in weiteren Architekturbüros fand. Ich begegnete meinem späteren Mann, der aus meinen Erzählungen über Le Corbusier kaum ermessen konnte, was mich da so berührte. Das änderte sich abrupt, als er mir anlässlich der Geburt unserer Tochter eine signierte Graphik Le Corbusiers suchte. Er recherchierte, las und lernte über den Künstler Le Corbusier – es waren Monate, die ihn spürbar veränderten.
Durch die geschenkte Graphik hatte mich Le Corbusier im Jahr 2006 erneut eingeholt. Mein Mann, inzwischen selber infiziert, nährte meine Leidenschaft. Und er hatte erkannt, dass LCs künstlerisches Werk ein Potenzial birgt, das der Kunstmarkt nicht angemessen ausschöpfte. Wir zögerten nicht lange: Es wurde ihm ein Anliegen, das künstlerische Werk Le Corbusiers zu sammeln, es zu erforschen und einzuordnen, es zu pflegen und auszustellen, es anderen Interessierten verfügbar zu machen. So ist es nach wie vor.